„Dein Baby hockt nicht richtig an.“ So war das ungefragte Kommentar einer fürsorglichen Mama als ich dieses Tragebild in einer Facebookgruppe teilte. Eigentlich wollte ich nur das neu ertauschte Tuch zeigen, eigentlich wollte ich nur die Freude am Tragen übermitteln aber WOOOMS da war es wieder, mein Baby scheint das alles „nicht richtig“ zu machen.
Erste Trageerlebnisse mit Nummer 2
Nun, was diese sicherlich gut meinende Mama nicht wusste, mein Baby ließ sich überhaupt binden. Ja! Ich bin Trageberaterin und sage so etwas, denn die ersten Bindeversuche bei Nummer zwei waren alles andere als positiv verlaufen. Wie kann das dann sein? Schon das ersten Einbinden war ein Kampf. Konnte ich beim Großen nicht fest genug ziehen, schien jeder Zug beim Baby Schmerzen zu verursachen, sofort war mir klar, irgendwas stimmt hier nicht. Wäre der Kleine mein erstes Kind, hätte ich wohl gedacht, das geht eben nicht, mein Kind will wohl nicht getragen werden.
Aber das war es nicht. Natürlich habe ich ein sehr reichhaltiges Sortiment an Tragetücher und Tragehilfen und so fing die Testphase an. Alles zum Binden war doof („Schreikrämpfe… willst du mich zerquetschen?“) und schlussendlich war es die Emei, (Ist das schon Werbung, wenn ja dann markiere ich das hiermit…) in der sich mein kleiner Bindeschreihals tragen ließ. Sehr zu meiner Verzweiflung, denn die passt einfach nicht zu mir. Ich bekomme davon Rückenschmerzen und kann sie noch so gut einstellen, ich mag sie nicht. Mit der Zeit war auch der Flip eine gute Option, na also es ging doch. Stundelang konnte ich ihn darin tragen, natürlich nur wenn er gut drauf war. Rein und beruhigen, das ging zunächst nicht. Aber zufriedenes Kind in die Trage geben, war ein Garant für bis zu vier Stunden Ruhe und Schlaf.
Mit der Zeit kamen immer mehr Tragen dazu, mit denen er zurecht kam, der Milamai, die Limas Plus und auch das Binden konnte ich nun langsam wieder probieren. Der Kleine liebt es getragen zu werden, es durfte nur nicht zu eng sein, am besten mit einem kleinen Spalt im Nacken zwischen Tuch und Baby und er hockte einfach nicht richtig an.
Schlussendlich ließ er sich auch im Tragetuch beruhigen. Abend für Abend musste ich ihn wiederum nun in den Schlaf tragen, er genoss die Nähe aber nicht die Enge. Ohne zu tragen nur auf dem Arm schrie er sich Abend für Abend in Rage und brachte uns zur Verzweiflung, denn wenn man erst Mitternacht ins Bett kommt, der Kleine logischerweise noch nicht durchschläft und der Große am Morgen um 5 wieder wach wird, ist das nicht sonderlich viel Schlaf.
Die Diagnose
Soweit so gut, ein Glück kenne ich einige Trageberater. Einer ehemaligen Leipziger Kollegin teilte ich meine bisherigen Erfahrungen und Bedenken mit und so fiel zum ersten Mal von ihrer Seite aus das Wort „KiSS“. Aber, er ist doch bis auf die Abende kein Schreikind, waren meine Gedanken, ganz im Gegenteil, er lässt sich ablegen, schläft viel, vor allem in der Federwiege und wirkt auch sonst total entspannt. Auch nachts schläft er bis auf Trinkpausen durch und würde das auch bis um 8/9 früh machen, wenn der Große ihn nicht weckt. Natürlich gingen auch meine Überlegungen schon in Richtung KiSS, denn es ist nicht das erste Mal, dass ich damit in Berührung komme, die Kinder in meiner Beratungen waren jedoch eher „typische KiSS-Kinder“, so ich es bisher kannte. Sie akzeptierten keine Mütze, keine Enge, Tragen war auch in der Tragehilfe fast unmöglich, hockten fast gar nicht an oder schrien den ganzen Tag. So war mein Baby ein Glück nicht und trotzdem „stimmte irgendwas nicht“, da war ich mir sicher.
Die U-Untersuchung beim Kinderarzt brachte Null Erkenntnisse, sie stieß mich weg, weil ich mein Kind nicht schnell genug auszog und machte 2 Tests, alles OK – „Auf Wiedersehen!“ (Ja, ich schaue mich gerade nach einem neuen um aber das ist hier in der Kleinstadt nicht so leicht…) Beim Orthopäden hatte ich etwas mehr Erfolg. „Ja, Frau El, jedes Kind ist anders, alles OK aber eine Lieblingsseite hat er und irgendwie blockiert ist er im Kopf, naja wenn Sie darauf bestehen, ich stell Ihnen mal ein Rezept für Physiotherapie aus. (Dann bin ich Sie wenigstens wieder los…)“ Das in Klammer hat er sich sicher nur gedacht, wie ihr merkt, wurden meine Bedenken auch von ihm nicht ernst genommen. Ich drängte ihn aber dazu neben der Hüfte auch (mal eben schnell) die Halswirbelsäule anzusehen und er merkte, dass mein Kind irgendwie blockiert war.
Nun hatte ich im letzten Schritt wirklich viel Glück. Die Physiotherapeutin bemerkte schon nach der ersten Behandlung: „Ihr Kind ist komplett schief! Das bekommt man nur allein mit Physio nicht hin.“ So wie es aussieht, lerne er nicht ordentlich krabbeln, wird sich nicht normal drehen können und wird wohl langfristig Probleme haben. „WOOOMS!“ Damit hatte ich nun auch nicht gerechnet. Ihre Diagnose hieß „Schiefhals“, KiSS als Wort akzeptiere sie nicht. Aber es gibt wohl Spezialisten, die da doch was machen können. Selbstzahlerleistung natürlich, KiSS ist schließlich nicht anerkannt. Die Folgen wie motorische Unruhe dafür schon sogar ADHS als ein möglicher Co-Faktor… (Nein, ich sage damit nicht, dass KiSS zu ADHS führt, das ist zu einfach gedacht und ich möchte auch darauf nicht weiter eingehen, nur zum Nachdenken anregen…)
Begriff „KiSS“
Also was ist es nun dieses „KISS“? Übersetzt heißt der Begriff: Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung bzw. Dyspraxis / Dysgnosie, Klingt kompliziert oder? Was bedeutet das nun?
Mediziner, die von der Existenz des Krankheitsbildes KiSS überzeugt sind, teilen sie in zwei Formen ein. Während KiSS I eine Seitneigung des Kopfes und eine asymmetrische Körperform beschreibt, steht beim KiSS II der Kopf stets in der Rückbeuge.Quelle
Mit anderen Worten, das Kind ist schief. Ach wie mein Kind! Die genaue Ursache, ob im Mutterleib oder bei der Geburt oder wie auch immer, das ist unbekannt. Die Symptome könnt ihr der verlinkten Seite entnehmen, das Erkennungsspektrum ist extrem vielfältig. Natürlich weisen die einzelnen Symptome nicht immer auf ein KiSS-Syndrom hin. Es ist gut möglich, dass sie eine andere Ursache haben. Hier gilt es natürlich zu differenzieren aber es KANN wie bei meinem Kleinen KiSS sein.
Die Lösung
Nun gut, wir hatten eine Art Diagnose, nun wollten wir das Problem angehen und überlegten, zu welchem Spezialisten wir fahren sollten. Die Physiotherapeutin und unsere Hebamme, bei der ich das Problem natürlich auch ansprach, die es aber auch als nicht so schlimm empfand, empfahlen uns eine Ärztin in Eilenburg, meine Bekannte aus Leipzig einen Spezialisten in Limbach-Oberfrohna, Dr. Aurich. Auf ihn fiel zum Schluss unsere Entscheidung. Durch Internetrecherche und die positiven Erfahrungen der Tragberaterin bestärkt, hielten wir ihn für fähig, die Blockierungen zu lösen. Also auf ins Erzgebirge! (Ich möchte hiermit keine Mama bei der Entscheidungsfindung beeinflussen, das war unsere Entscheidung, ein anderer Arzt kann sicherlich auch die Blockaden lösen.)
In der Praxis angekommen, wurde eine ausführliche Anamnese unternommen und der Arzt sah sich jedes Gelenk an und testete die Bewegungen. Unseren Großen ließen wir vorsichtshalber auch untersuchen, wenn man schon einmal soweit fährt… aber da war alles tipptopp! Schon als er den Kleinen in den Arm nahm, meinte er, er stehe komplett unter Anspannung. (Ich erinnere nochmal an die Reaktion der Kinderärztin… alles gut… nunja…)
Auch seine Tests ergaben mehrere Blockaden – 3 um genau zu sein. Eine im Atlas-Gelenk, eine in der Mitte der Wirbelsäule (ich bin kein Experte und kenne die genauen Bezeichnungen nicht, er hat mir nur die Stellen gezeigt…) und eine am Abschluss der Wirbelsäule. Die unteren zwei renkte er sofort ein. Davor zeigte und erklärte er immer, was er jetzt machen würde und wie viel Druck es sei. Für die obere Blockade wurde ein Röntgenbild angefertigt und auch diese wurde eingerenkt. Das Baby schrie dabei nicht. Ganz im Gegenteil, die ruhige und nette Art des Arztes übertrugen sich und er war selbst auch ganz ruhig und aufmerksam. Das Einrenken dauerte einige Sekunden und verursachte auch keine Schreianfälle o.ä. Ich gehe auch deshalb davon aus, dass sie nicht weh getan haben.
Das Ergebnis
Die Diagnose, die wir vom Facharzt mitbekamen lautete (Überraschung!) „KiSS“, nun habe ich es schwarz auf weiß und bin mir sicher, nicht überinterpretiert zu habe, wie es mir Hebamme, Kinderarzt und Orthopäde glaubhaft machen wollten!
Im Netz las ich davon, dass es zu einer Erstverschlimmerung kommen kann, da sich der Körper erst auf die neuen Bewegungsmöglichkeiten einstellen muss. Das war bei uns bisher nicht der Fall. Vergangenen Montag waren wir beim Arzt. Auf dem Rückweg hielten wir noch in einem Laden an, ich band den Kleinen ein und… kein Mucks. Und auch in den letzten Tagen kam außer mal kurzem normalen Babygemecker kein Theater beim Einbinden auf, kein Gebrüll wenn es zu fest war (und ich habe es auch ziemlich fest ausprobiert, nur um zu schauen, ob es klappt.) Er wirkt noch entspannter, wenn man ihn hochnimmt, streckt er sich nicht mehr so unnatürlich nach hinten durch und seit dem Termin schläft unser Baby gefühlt den ganzen Tag. Wir sollen den Kleinen oft in Bauchlage hinlegen und auf die Nichtlieblingsseite und das machen wir auch aber er nickert immer sofort weg. War er schon vorher ziemlich entspannt, ist er nun eine kleine „Schlaftablette“ ^^ Selbst abends, da gab es vorher ganz oft bis zu vier Stunden Geschrei und Theater und wenn überhaupt, ist er nur im Tuch eingeschlafen, manchmal nach schier endlosen Spaziergängen, nun legen wir ihn hin und er…3….2…1…schläft. Die letzten drei Physiotherapiesitzungen werden wir natürlich noch wahrnehmen und schauen, dass er die neue Bewegungsfreiheit einsetzen kann aber dann braucht er hoffentlich keine weiteren Hilfen mehr. Ich bin einfach nur froh, auf mein Gefühl gehört zu haben.
Fazit
Zum einen wollte ich mit meinem Erfahrungsartikel darauf aufmerksam machen, dass ich mir ohne medizinisches Fachwissen und Kenntnisse 100% sicher bin, dass es KiSS gibt. Lässt sich dein Kind nicht tragen, streckt sich unnatürlich durch, schreit den ganzen Tag oder hat eine permanente Lieblingsseite, solltest du in diese Richtung recherchieren.
Zum anderen möchte ich Eltern dazu aufrufen, auf ihr Gefühl zu hören. Hast du das Gefühl, etwas stimmt nicht, dann lass dir nicht vom Kinderarzt einreden, alles sei OK. Geh zum nächsten, hole dir eine Zweitmeinung ein, gehe zu Spezialisten. Wir Eltern sind Experten unserer Kinder vor allem auch wenn wir den Vergleich zu älteren Geschwister haben. Ich hatte auch schon so viele andere Kinder in Beratungen etc. erlebt und wenn mein Kind dann so anders reagiert, kann unter Umständen doch was dran sein. – JA jedes Kind ist anders – unbedingt! Ich möchte auch nicht dazu aufrufen, an allem herumzudoktern, überzutherapieren und mit der Stoppuhr daneben zu stehen: „Jetzt musst du aber das können!“ Auf keinen Fall! Aber es ist nicht „normal“, wenn ein Kind den ganzen Tag schreit, sich ständig überstreckt… eben Dinge macht, die nur wir Eltern erkennen und die dem Kind selbst das Leben schwer machen. Hier können Lösungen und Erleichterungen verschafft werden.
Vielleicht hätte sich das KiSS bei meinem Sohn auch verwachsen, vielleicht wäre die Therapie nicht unbedingt nötig gewesen. Ich weiß es nicht. Ich sehe nur, dass sie geholfen hat und er nicht mehr unter permanenter Anspannung steht. Ihm und natürlich auch uns, wurden die Abende erleichtert und wir hoffen nun, dass er zu seiner Zeit, das Drehen, Krabbeln und Laufen ohne Umwege erlernen kann.
Haftungsausschluss
Dieser Artikel gibt MEINE PERSÖNLICHEN Erfahrungen und Meinungen wieder. Ich bin kein Mediziner, habe keine medizinischen Background und kann und werde also keine therapeutischen Tipps und Hinweise geben. Meine Erfahrungen müssen sich nicht auf jedes andere Kind übertragen lassen. Zieht im Zweifelsfall immer einen Spezialisten hinzu!